Tessa Ganserer ist die erste transidente Abgeordnete in Deutschland. Am 23. Januar 2019 zur ersten Plenarsitzung erschien sie das erste Mal als Frau im Bayerischen Landtag. Frau Ganserer ist nicht nur Landtagsabgeordnete, sondern auch die queerpolitische Sprecherin der Grünen Fraktion im Bayerischen Landtag. Aber mit dem Outing hat Frau Ganserer jetzt allerdings auch eine neue Vorbildfunktion für viele Jugendliche. Deshalb habe ich mich mit Frau Ganserer getroffen, aber wir haben nicht nur über ihr Coming-Out oder Hater-Kommentare geredet, sondern auch über die neue politische Jugend und den Klimaschutz.
„Ich kann nur allen jungen Menschen sagen, weiter so, die Zukunft braucht euch!“ Tessa Ganserer
Seit Ihrem Outing Ende letzten Jahres sind Sie die erste offen transidente Politikerin in Deutschland. Ich finde, das war ein extrem mutiger Schritt und Sie sind jetzt auch Vorbild für viele andere Menschen. Macht es Sie eher glücklich, diesen Schritt gemacht zu haben oder eher traurig, dass sich immer noch so viele Menschen nicht trauen, sich zu outen? Tessa Ganserer: Zunächst bin ich froh darüber, dass ich mich nicht mehr verstecken muss und ich bin sehr glücklich, dass ich diesen Schritt gegangen bin, wenn auch vielleicht etwas zu spät. Wenn es mir tatsächlich so gelungen ist, auch anderen Menschen dafür Mut zu machen, dann habe ich nicht nur persönlich, sondern auch als Politikerin alles richtig gemacht. Denn Politiker/innen sind ja auch dafür da, den Menschen Mut und keine Angst zu machen. Aber ich kann schon gut nachvollziehen, dass es viele Menschen auch in der heutigen Zeit noch schwerfällt, sich zu outen.
Ich habe aber aus sehr leidvollen eigenen Erfahrungen gelernt, wie schwer es erst einmal ist, sich selbst zu akzeptieren, weil uns ja die Gesellschaft beigebracht hat, es als „nicht normal“ zu sehen. Leider werden Transidente oder Transsexuelle immer noch nicht als „normal“ angesehen. Ich glaube, da haben wir noch einen sehr langen Weg vor uns, um eine vollkommene Akzeptanz in der Gesellschaft zu erreichen.
Fühlen Sie sich jetzt auch als Vorbild für Menschen, die sich nicht trauen, sich zu outen? Was würden Sie besonders Jugendlichen zum Thema „Coming-Out“ empfehlen? Tessa Ganserer: Es ist natürlich sehr individuell. Ich weiß für mich, dass ich eine Frau bin und als Frau leben möchte. Letztendlich muss jeder selber wissen, wie er sich definiert. Für Transidente führt für ein glückliches und selbstbestimmtes Leben letztendlich kein Weg an einem Outing vorbei. Denn diese innere Zerrissenheit, eigentlich ein falsches Leben zu führen, hält man auf Dauer nicht aus.
Ich würde den Betroffenen daher raten, sich Selbsthilfegruppen zu suchen, denn hier gibt es die Möglichkeit einer anonymen Beratung und hier wird man auch feststellen, dass man nicht alleine ist. Denn ich finde es sehr wichtig, diesen Weg nicht alleine zu gehen.
Es gibt auch heute noch keinen perfekten Weg für ein perfektes Coming-Out, weil es eben eine sehr individuelle Geschichte ist. Ich finde es wichtig, für sich selbst einen Coming-Out-Fahrplan zu machen, um die Reihenfolge der einzelnen Schritte festzulegen.
Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Partei und im Landtag nach dem Outing gemacht? Ich könnte mir vorstellen, dass besonders die konservativen Parteien da einige Probleme damit hatten bzw. haben? Tessa Ganserer: Bevor der erste Artikel in der Süddeutschen Zeitung über mich erschienen ist, habe ich meine Fraktionskollegen/innen eingeweiht. Die Reaktion hat mich dann sehr gerührt, weil sie regelrecht Schlange standen, um mich zu umarmen. Diese Reaktionen haben mir dann auch sehr viel Kraft gegeben. Überwältigt war ich auch von den positiven Reaktionen der anderen Fraktionen im bayerischen Landtag, außer natürlich von der AfD. Bisher haben die Abgeordneten der AfD es vermieden, mich persönlich anzufeinden, allerdings folgten negative Reaktionen über die sozialen Medien.
Aber es sind ja nicht nur Abgeordnete der AfD, die über soziale Medien despektierliche Kommentare abgeben, sondern gerade auf den Kommentarseiten der großen Onlinemedien oder den Facebookseiten der AfD kann man teilweise regelrecht menschenverachtende Äußerungen lesen. Leider zeigt sich in Teilen der Gesellschaft ein gewisses Maß an Homo- bzw. Transphobien und da sieht man, dass wir mit der Akzeptanzarbeit noch lange nicht fertig sind. Deswegen brauchen wir, auch hier in Bayern, einen Aktionsplan für Akzeptanz und Toleranz und gegen Homo- bzw. Transphobie und da sehe ich auch die bayerische Staatsregierung in der Pflicht. Bayern ist wesentlich bunter als das Papier, auf dem der Koalitionsvertrag geschrieben wurde. Denn im Koalitionsvertrag steht über das Thema keine einzige Silbe, aber die Realität zeigt nun mal, dass wir dazu auf alle Fälle einen Aktionsplan bräuchten.
Hater-Kommentare sind ja nicht das einzige Problem. Womit ich auch ein Problem habe ist, wenn z.B. ein CDU Generalsekretär Ziemiak die 16-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg über Twitter beleidigt oder Politiker wie Kubicki von der FDP oder Gauland von der AfD immer noch behaupten, dass die Klimaerwärmung nichts mit dem Menschen zu tun hat und man eh nichts dagegen tun kann. Für mich sind solche Politiker gefährlich, aber andererseits würde es ohne diese Politiker „Fridays for Future“ nicht geben. Was denken Sie über diese sture Einstellung einiger Politiker? Verzweifelt man da nicht manchmal? Tessa Ganserer: Ich finde die Entwicklung in der Politik, wissenschaftliche Daten zu manipulieren und mit populistischen Äußerungen bewusst Ängste zu schüren, nicht nur bedauerlich, sondern brandgefährlich, weil dies ein Mittel ist, das tatsächlich funktioniert. Menschen durch Ängste zu packen war schon immer ein Mittel, das funktioniert. Diesen Menschen die Ängste wieder zu nehmen, ist dann leider sehr schwierig, auch wenn es noch so unbegründet ist. Wenn man als Mensch eine Spinnenphobie hat, nützt es auch nichts, wenn ich erzähle, dass die Spinne harmlos ist. Und ähnlich ist es auch hier. Für mich als überzeugte Demokratin ist es manchmal schon schwer, das auszuhalten.
Was denken Sie bzw. die Grünen über die Jugendaktion „Fridays for Future“? Tessa Ganserer: Für mich ist es höchst anerkennenswert, wie sehr sich junge Menschen für ihre Zukunft und unseren Planeten einsetzen. Wie sie die Forderung mit einer Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, die ich mir manchmal auch für die Grünen wünschen würde. Das muss eigentlich jeden Politiker freuen, da wir in der jüngsten Vergangenheit eine Phase hatten, in der sich junge Menschen mehr von der Politik abgewandt haben. Ein bisschen schwierig wird es dann mit dem Umgang der Demos während der Schulzeit. Das ist natürlich eine heikle Geschichte, da wir ja eine Schulpflicht haben, auch wenn ich das Argument verstehe, dass bei einem Streik auch was bestreikt werden soll. Dauerhaft werden wir alle dazu einen Umgang und Einigung finden müssen. Von meiner Seite gibt es aber höchste Anerkennung für dieses Engagement. Ich kann nur allen jungen Menschen sagen, weiter so, die Zukunft braucht euch!
Ich glaube, die Partei, die es in der Zukunft schafft, die meisten Jugendlichen hinter sich zu bringen, wird bei den nächsten Wahlen auch die höchsten Gewinne verzeichnen. Das ist für mich aus den letzten U-18 Wahlen ganz klar erkennbar, aber auch die Tatsache, dass immer mehr Jugendliche politisch interessierter werden. Ich könnte mir vorstellen, dass Ihre Partei das ähnlich sieht? Tessa Ganserer: Die Wahlumfragen und Analysen zeigen ja ganz deutlich, dass die Grünen bei den Themen der jüngeren Generation stärkste Partei sind und enormen Zulauf bekommen. Wenn es nur ein Generationen-Thema wäre, dann würde ich das mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen. Weil ich das nicht möchte, dass diese Fragen mit einem Generationskonflikt enden. Aber diese Sorge habe ich nicht, weil es auch immer mehr aus der älteren Generation gibt, die sich um die Zukunft einer gesunden Umwelt Sorgen machen. Das sieht man nicht nur bei dem Ergebnis der letzten Landtagswahl, sondern auch an der breiten Unterstützung des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“. Mir persönlich ging das Herz auf, als ich sah, wie viele Menschen aus Stadt und Land – und egal ob jung oder alt – in einer langen Schlange anstanden, um sich für das Volksbegehren einzutragen.
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