In meiner Reihe „GenZ erklärt“ schreibe ich für Stern.de über wichtige Themen meiner Generation. Mein neues Thema gilt dem Einfluss des Deutschrap auf die junge Generation und warum das ein Fehler von der Politik ist, dieses Thema zu unterschätzen:
Deutschrap ist bei der jungen Generation extrem populär. Doch warum haben junge Menschen, die für Geschlechter-Gerechtigkeit und gegen Homophobie eintreten, kein Problem mit den Inhalten mancher Rapper?
Rap ist das mit Abstand beliebteste Genre für junge Menschen. Das hat die neue Sinus-Studie zum Thema „Wie ticken Jugendliche?“ festgestellt. Demnach ist Musik für Jugendliche aus allen Lebenswelten ein ständiger Begleiter. Speziell Deutschrap ist nicht zu unterschätzen.
Laut der Sinus-Studie ist dieser Einfluss besonders groß bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund oder aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Sie können sich mit den Texten identifizieren. Vor allem für männliche Jugendliche aus bildungsfernen sozialen Kreisen bietet Rap (ob auf Deutsch oder Englisch) Ausdrucksmöglichkeiten, die ihnen sonst fehlen. Musiker und Bands, die in diesen Lebenswelten besonders gut ankommen, sind Bonez MC, Luciano, 21 Savage, RAF Camora und Azet.
Deutschrapper gelten als Vorbilder, weil sie es mit Motivation und Durchsetzungskraft „nach ganz oben“ geschafft haben, besonders wenn sie aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen. Es suggeriert einen sozialen Aufstieg, wenn man sich nicht unterkriegen lässt und robust und durchsetzungsstark seinen Weg geht.
Deutschrap hat ein Problem mit Frauenfeindlichkeit
Was grundsätzlich kein Problem wäre, wenn nicht gerade der Deutschrap ein Problem mit Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit und Homophobie hätte. Rapper wie Kollegah und Farid Bang haben in ihren Texten ein antisemitisches Weltbild aufgebaut, wie der Skandal zur Verleihung des Echos 2018 zeigte. Ein weiteres Beispiel sind die Rapper AK AUSSERKONTROLLE und Bonez MC, die in ihrem Song „Jim Beam & Voddi“ Frauenfeindlichkeit zeigen. „Sie hat zwar kleine Titten, doch ein Arsch wie ein Pfirsich. Guck, wir nehmen sie mit und geben ihr zu dritt.“ Was im Refrain des Songs zu hören ist und was bereits 84 Millionen Mal auf Spotify gestreamt wurde.
Sie sind auch noch extrem erfolgreich damit: Bonez MC hat laut Schallplattenauszeichnungen mehr als 15,3 Millionen Tonträger verkauft. Kollegah hat über eine Million Tonträger verkauft und zehn Alben von ihm erreichten Platz 1 in den Charts. In der Woche des 14. Juni 2024 waren acht Songs in den Top Ten aus der Kategorie Deutschrap und in den Top 15 der Jahrescharts 2023 waren sieben Deutschrap-Songs platziert. Niemand hatte in der Geschichte der deutschen Charts mehr Top 1-Hits als Capital Bra, nicht einmal die Beatles.
Hannes Loh und Sascha Verlan, Autoren des Standardwerks „35 Jahre HipHop in Deutschland“, glauben, dass viele angehende Rapper nicht viel darüber nachdenken, was sie sagen. Das Erwachsenwerden führe bei vielen zum Umdenken. Ich denke anders. Es geht hier darum, möglichst viel Geld zu verdienen. Es ist ein wirtschaftlich sehr rentables Geschäft, sowohl für die Künstler als auch für die Plattenfirmen. Viele Rapper haben ihr eigenes Label gegründet und nutzen das Vakuum aus, dass es vielen jungen Menschen an Halt und Perspektive fehlt.
Man kann sich zu Recht fragen, wie eine sehr verantwortungsbewusste Generation, die sich Gedanken um das Klima macht, um Gender-Equality und gegen Homophobie ist, kein Problem mit den Inhalten mancher Deutschrap-Künstler hat.
Viele Jugendliche fühlen sich machtlos
Nicht jeder junge Mensch tickt gleich: Der Erfolg des Deutschraps hat vor allem damit zu tun, dass die Politik es nicht geschafft hat, die Lebensrealität besonders von jungen Menschen mit Migrationshintergrund oder aus schwierigen sozialen Verhältnissen zu erreichen. Die Probleme dieser jungen Menschen bestehen nicht darin, wie das Klima in 30 Jahren sein wird, sondern wie sie als Mensch und ob ihre Probleme in der Gegenwart ernst genommen werden.
Nach der Sinus-Studie fühlen sich viele Jugendliche grundsätzlich machtlos und beklagen, dass die Stimme der Jugend nicht gehört und ernst genommen wird. Diese Einflusslosigkeit endet in Frustration und daher finden sie im Deutschrap das Sprachrohr, das sie vermissen. Wenn die Politik diese Problematik nicht ernst nimmt, kann sich das rächen: Jeder Einfluss auf die junge Generation hat Folgen. Sobald dieser Einfluss antisemitisch, frauenfeindlich oder rassistisch ist, kann er sogar demokratiegefährdend sein.
Schon 2019 erzählte mir die Rapperin Limaraa in einem Interview, dass vielen Rappern die Vorbildfunktion egal ist, weil sie selber ein Drogenproblem haben und sich daher nicht für die Erziehung von Kindern und ihren Einfluss verantwortlich fühlen.
Immer wieder gibt es Skandale aus der Deutschrapszene. 2022 wurde Rapper 18 Karat zu mehr als sechs Jahren Haft wegen Drogenschmuggels verurteilt. Rapper Gzuz wurde wegen Körperverletzung und Verstößen gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz zu über acht Monaten Haft verurteilt. Rapper Samra hat nach eigenen Angaben über längere Zeit übermäßig Kokain, Tilidin und Cannabis konsumiert.
Die Nationalmannschaft heizt sich mit Kontra K auf
Aber der Deutschrap hat nicht nur eine negative Seite. Viele Rapperinnen und Rapper mit wirklich guten Texten sind positive Beispiele. Kontra K zum Beispiel hat oft etwas Motivierendes, daher wundert es mich nicht, dass sogar die deutsche Nationalmannschaft sich damit aufheizt.
Ich habe auch eine Zeit lang Deutschrap intensiv gehört. Mir hat diese Musik damals etwas gegeben – Zugehörigkeit, aber auch das Gefühl auszubrechen.
Was mir gefällt: Der Deutschrap wird immer weiblicher. In den Jahrescharts 2023 platzierten sich elf Songs weiblicher Rapperinnen, 2021 waren es nur zwei Songs und beide von Shirin David. Dieses Jahr hatte Ayliva bereits drei Nr. 1 Hits und Nina Chuba einen Top 1 Song und fünf Top 40 Hits. Die Texte werden teilweise feministischer und es wird deutlich ein weiblicher Gegenpart zu den frauenfeindlichen Texten der männlichen Kollegen dargestellt.
Trotzdem ist eine „grundaggressive“ Stimmung in den Texten immer noch vorhanden. Musik ist Kunst, und es ist wichtig, dass Künstlerinnen und Künstler sich frei austoben können. Aber der Einfluss der Rapszene auf junge Menschen hat auch seine sehr dunklen Seiten, die man ernst nehmen muss. Die Studie zeigt, woran es jungen Menschen oft fehlt.
Livia Kerp für Stern.de